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Kein Fortschritt ohne Megatrends

Die liberalen Parteien in Deutschland haben sich zumeist einiges darauf zugute gehalten, zugleich auch Fortschrittsparteien zu sein. Das gilt insbesondere für die FDP. Schließlich steht sie in der Tradition der liberalen Fortschrittspartei aus der Mitte des 19. Jahrhunderts.

Gesellschaftlicher Fortschritt bedeutet heute weniger denn je, mit echten, flächendeckenden Missständen fertigwerden zu müssen. Neuerdings geht es um Partizipation. Jeder Mensch möchte bei allem mitreden, was ihn betreffen könnte. Das zeigt sich vor allem im lokalen Umfeld. Nicht selten in der unangenehmen Form des Nimby – not in my back yard! Solche Totalverweigerer sind nicht fortschrittlich. Im Grunde allerdings ist das Verlangen der Bürger, gefragt zu werden, bevor große Flächen entwaldet und planiert oder ganze Städte untertunnelt werden, jedoch angemessen und ganz richtig.

Ein Großkonzern, der öffentlichen Transport als Dienstleistung anbietet, kann sich nicht wirklich als „privat" verstehen. Baugruben der Deutschen Bahn oder neue Großflughäfen unterliegen nicht dem Schutz der Privatsphäre. Es gibt wohl schon einen kategorialen Unterschied zwischen dem Bauvorhaben eines Privatmanns, der in sein Wohnhaus ein Dachfenster einbauen möchte, und einem mehrjährigen Großbaustellenprojekt, das ganze Stadtteile in Mitleidenschaft zieht. Beides mag sogar privat finanziert sein – wenn man unter privat alles versteht, was nicht direkt aus Steuermitteln bezahlt werden muss. Trotzdem gibt es diesen Unterschied zwischen privat – im Sinne von persönlich, klein und für das eigene Privat-Leben gedacht – und dem Projekt eines privaten Unternehmens, noch dazu, wenn es im öffentlichen Auftrag erfolgt.
Ein gesellschaftlicher Megatrend der Gegenwart scheint also zu sein, dass sich Menschen einmischen wollen in Projekte, die ihre Umwelt oder ihre direkte Umgebung und ihr Leben betreffen. Auch dann, wenn sie nicht die Finanziers dieses Projektes sind.

Gerade für eine liberale Partei wäre es nun wichtig, solche Trends aufzunehmen und in der eigenen Programmdiskussion zu berücksichtigen. Eine Partei ist niemals ganz vorne dabei, wenn es darum geht, Trends zu setzen; das machen immer kleine Gruppen avantgardistischer Vordenker. Aber die Ergebnisse des Vordenkens aufzunehmen, zu reflektieren und für die breite Masse der Bürger verstehbar zu machen, das sollen Parteien leisten. Eine liberale Partei, die sich als fortschrittliche Partei begreift, die "liberal" auch als nicht in gegenwärtige gesellschaftliche Zwänge eingebunden verstehen möchte, muss solchen Trends einen Ort des Diskurses bieten. Sie muss vermeintliche Umstürzler und deren womöglich revolutionäre Ideen ja nicht bedingungslos unterstützen, sie muss Veränderungsvorschläge auch nicht ungeprüft und unverändert in die eigene Programmatik übernehmen; aber die Augen zu verschließen und solche Trends zu ignorieren, um sie vermeintlich ins Leere laufen zu lassen, ist weder fortschrittlich noch liberal.

Einer solchen Anerkennung der Wirksamkeit von Megatrends steht auch nicht entgegen, dass man darauf verweist, dass Mitsprache nicht automatisch Miteigentum oder Mitentscheidung bedeutet. Trotzdem muss den großen Unternehmen klarwerden, dass heutzutage eine entsprechende öffentliche Vermittlung ihrer Projekte notwendig ist. Es ist nicht mehr ausreichend, ein gerichtsfest abgesichertes Planungsverfahren zu durchlaufen, das in erster Linie dazu dient, den Bürokraten Rechtssicherheit zu geben, damit sie nicht verklagt werden können, wenn irgendjemand mit der Planung oder dem Endergebnis unzufrieden ist.

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