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Von Blockwarten zu Geheimdiensten

Datenschützer kritisieren, dass zunehmend der öffentliche Raum von Bürgern überwacht wird. Beispielsweise gibt es wohl zahlreiche Autofahrer, die gerne andere Verkehrsteilnehmer filmen. So ein Videobeweis wäre für den Fall eines Unfalls doch sicherlich ganz nützlich, oder? Die Datenschutzbeauftragten verschiedener Bundesländer machen aber deutlich, dass solche Videoaufnahmen auf Vorrat nicht mit dem deutschen Datenschutz vereinbar sind. Als "Blockwartverhalten" geißelte jüngst der Datenschutzbeauftragte in NRW diese Sammelwut.

Aber, wen wundert's eigentlich, dass die Bürger so agieren? Sie ahmen nur ihren eigenen Staat nach: eine umfassende Vorratsdatenspeicherung hätten Polizei und Geheimdienste in Deutschland unheimlich gerne. Und andere Staatsdiener womöglich auch.

Amerika ist hier schon weiter fortgeschritten als Europa. In der Terroristen-Datenbank TIDE sind möglicherweise 1 Million vermeintliche Terroristen und Attentäter erfasst. Solche Angaben finden sich zu mindestens auf einer amerikanischen Nachrichten-Webseite. Und – wie die FAZ urteilte:

"Für Geheimdienste gibt es nie genug Verdächtige". Alle diese Dienste, Sammelplatz für vom Verfolgungswahn geplagte Apparatschiks und durchgeknallte Technik-Freaks, haben sich doch schon längst verselbstständigt und sind kaum mehr zu kontrollieren.

Das grundsätzliche Problem der staatlichen Schnüffelei ist dabei noch nicht einmal, dass einige Geheimdienstleute etwas über jeden Bürger wissen. Richtig problematisch wird es erst, wenn sie daraus etwas konstruieren, um es gegen den Einzelnen zu verwenden. In Gesellschaften, die aller Zivilisationstünche zum Trotz immer noch von Vorurteilen gegenüber Menschen, die nicht exakt den allgemeinen durchschnittlichen gesellschaftlichen Vorstellungen entsprechen, zerfressen sind, zählen eben nicht Fakten, sondern Bewertungen. Und in allen Geheimdiensten arbeiten Typen, die teilweise keine demokratische Gesinnung und schon gar keine freiheitliche Einstellung gegenüber ihren "Überwachungs-Objekten" haben. Aber ihre "professionelle" Meinung zählt. Was diese "Profiarbeit" mitunter wert ist, stellt sich jetzt im Zuge der Aufarbeitung der NSU-Affäre heraus – aber das ist eine ganz andere Geschichte.

Wenn es wirklich völlig in gleicher Weise "gültig" wäre, welchen Lebenswandel jemand pflegt – solange er keinem anderen Schaden zufügt –, könnte kein Geheimdienst und kein Erpresser irgendwelche Verhaltensweisen zu Skandalen aufbauschen und Leute zu Unterwerfung oder "Kooperation" zwingen. Biografien ließen sich nicht vernichten, Karriere nicht ruinieren. Solange aber jede Abweichung als Gefahr oder Skandal verstanden oder missinterpretiert wird, bleiben Überwachung und Schnüffelei bedrohlich, weil daraus existentielle Nachteile für den Einzelnen erwachsen. Wir müssten als Gesellschaft erst einmal lernen, mit Vielfalt umzugehen, bevor wir Überwachung installieren.

Ob der ganze Überwachungs- und Datensammelwahn für die Verbrechensbekämpfung wirklich hilfreich ist, darf übrigens bezweifelt werden. Dazu ein kleines Beispiel: Ein Freund kaufte im Supermarkt zwei SIM-Karten, aktivierte sie über's Netz (natürlich mit Fake-Adresse und Pseudonym), und nach zwei Stunden konnte man telefonieren und surfen. Solange es (zumindest für jemanden, der sich ein bisschen mit der Materie auskennt) derart einfach ist, einen Internetzugang zu ergattern, sind alle Forderungen von politischen Hardlinern nach einer umfassenden Vorratsdatenspeicherung als Mittel zur Terror- und Kriminalitätsbekämpfung einfach nur Blödsinn. Jeder Mafia-Boss kann sich jeden Tag vollkommen anonym eine neue Nummer besorgen. Warum also solche Daten speichern?

Manche Juristen bezweifeln übrigens, ob es jemals gelungen ist, mittels Vorratsdatenspeicherung einen Kriminellen zu fangen. In den meisten Fällen – so sagen sie – ist klassische Polizeiarbeit immer noch das am besten geeignete Mittel, Möchtegern-Terroristen und andere Irre zu überführen oder von ihren Untaten abzuhalten. Aber auch das sei nur am Rande erwähnt.

 

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