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Zwischen Gutmenschen und Dumpfbürgern

Das mit der offenen Gesellschaft haben viele in Deutschland nicht begriffen: Die Dumpf-Bürger, die sich zu Rettungsmärschen für das Abendland zusammenrotten, sowieso nicht. Aber auch die Multi-Kulti-Freaks liegen falsch, wenn sie in gönnerhaftem Gutmenschentum jeden Fremden als Bereicherung empfinden und ansonsten wegschauen, wenn es Probleme gibt. Multi-Kulti ist bei Gesellschaften womöglich das, was Psychiater bei Personen eine gespaltene Persönlichkeit nennen.


Wenn sie hier sind, die Fremden, sind sie eigentlich keine Fremden mehr, sondern Mitbewohner in unserem Staat, die irgendwann Teil der Gesellschaft werden und vielleicht sogar eines Tages Mitbürger. Selbst hartnäckige Integrations-Verweigerer sind ein Teil unseres Gemeinwesens, selbst wenn sie den Dialog mit anderen trotzig ablehnen. Aber selbst diese „Lasst-uns-in-Ruhe!“-Attitüde gehört zu einer freien und offenen Gesellschaft. In einem dicht besiedelten Land mitten in Europa ist es zwar kaum möglich, sich auf eine „einsame Insel“ zurückzuziehen, Eskapismus – auch in religiöser oder kultureller Hinsicht – mag da ein Weg sein. Zumindest für eine gewisse Zeit.


Niemand sagt, dass es einfach ist, wenn fremde Menschen hierher kommen, weder für die Ankömmlinge noch für die Einheimischen. Ein zivilisiertes Zusammenleben unter Achtung der allgemeinen Menschenrechte und der Gesetze des Gastgebers muss aber gewährleistet sein.
Dann macht es auch keine Probleme, wenn mit den Fremden bislang unbekannte Traditionen und Gebräuche, Musik, Tanz oder Literatur Einzug halten: In eine offene Gesellschaft wird eine neue Facette von Kultur eingeführt. In der offenen Gesellschaft gibt es eben viele Lebensstile, die nebeneinander stehen, ohne die anderen zu dominieren. Es gibt auch verschiedene kulturelle Strömungen, die nicht allen gefallen müssen. Einigkeit darüber ließe sich nicht mal bei den Deutschen herstellen, das belegt ein Blick ins Feuilleton einer Tageszeitung. Aber die intellektuelle – oder manchmal auch emotionale – Auseinandersetzung findet unter dem Dach einer übergreifenden Kultur statt: der offenen Gesellschaft.


Wenn eine Gesellschaft nicht mit Vielfalt umgehen kann, wird von vielen Mitgliedern nach dem Staat und seinen Zwangsmitteln gerufen, um die von den Mehrheiten unerwünschten und gefürchteten Ideen, Handlungen oder Verhaltensweisen und Wünsche zu unterdrücken. Unterdrückt werden soll selbst dann, wenn die Abweichler niemanden schädigen oder behelligen. Aber viele Mehrheitsbürger wollen halt nicht mit ansehen müssen, dass andere anders leben als sie selbst. Und womöglich zufrieden oder sogar glücklich damit sind! Man möchte das eigene (spießige) Verhalten überall um sich herum erleben, damit man sich stets in der eigenen Haltung bestätigt fühlt.


Eine Gesellschaft mit vielen Facetten und Nischen ist eine lebendige, eine dynamische Gesellschaft. Wenn alle im Gleichschritt denken, mag das bequem sein, es ist aber entropisch und eher das Kennzeichen einer erstarrten Gemeinschaft.

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