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Inkarnationen

Liebe Freunde und Bekannte,

das war ja wohl eine abwechslungsreiche Woche. Der neue „mächtigste Mann der Welt“ wurde vereidigt und kann endlich sein Amt antreten, worauf ja viele schon seit Monaten – vielleicht sogar Jahren – warten. Er hat gezeigt, dass sie können, die Amerikaner (Yes, we can!). Jetzt sind wir mal gespannt, was sie können.

Und in Hessen ist die Wahl gelaufen. CDU und FDP haben sich sogleich in Koalitionsverhandlungen gestürzt, die zwar vertraulich gehandhabt werden, aber nur kurz sein sollen. Roland Koch muss jetzt ein bisschen kleinere Brötchen backen. Angesichts des – wohl auch für ihn – quälenden letzten Jahres wahrscheinlich ein leicht zu entrichtender Tribut. Für die FDP wird es in den Verhandlungen darum gehen, zu beweisen, dass liberal mehr ist als die Freiheit, möglichst viel Geld verdienen zu dürfen. Das Fähnchen für Bürgerrechte und Bürgerfreiheiten in dem gar wüsten Geschacher mit den in Hessen doch sehr konservativen Christdemokraten hoch zuhalten, wird eine echte Mutprobe werden. Was dabei raus kommt, weiß man noch nicht. Also kein Kommentar!

Von einem besinnlichen Wochenende heimgekehrt, habe ich mich diesmal einem Thema zugewandt, dass wirklich sehr langfristig ist und über jede Tagesaktualität hinausreicht. Es geht um die Inkarnation.

Inkarnation ist reine Glaubenssache. Wiedergeburt ist womöglich aber auch der Ausdruck einer verzweifelten Suche nach dem ewigen Leben in ewig währender Bedeutung.

Menschen, die sich als Reinkarnation einer früher lebenden Persönlichkeit bezeichnen – versuchen sie dadurch ein ewiges Leben zu erreichen? In diesem Falle nicht, indem sie ihren Leib durch medizinische Tricks unsterblich machen wollen, um physisch in alle Zukunft überdauern zu können. Sondern sie verlängern stattdessen sich selbst rückwärts in die Vergangenheit. Eine Reinkarnation ist zudem eine ausgezeichnete Chance, das eigene unbedeutende Selbst der Gegenwart dadurch zu adeln, dass man in einer früheren Existenz mal was besseres war: „Ich, Claudius, Kaiser und Gott“ klingt allemal besser als „Egon Müller, Versicherungsvertreter und Kassenwart im Karnevalsverein“.

Natürlich gehen mit dem Konzept der Reinkarnation auch ein paar schwierige und unangenehme Fragen einher: Ganz nahe liegend wäre zum Beispiel die Sorge, ob denn die Zahl der Wesenheiten, die für ein seelentechnisches Recycling zur Verfügung steht, begrenzt ist und in Zukunft vielleicht jemand leer ausgeht. Angesichts des Betragens mancher Zeitgenossen könnte man auf den Gedanken verfallen, dass zumindest der geistreiche Nachschub schon zur Neige geht.

Zivilisatorisch bedeutsam ist auch folgende Überlegung: Werden bestimmte Persönlichkeiten nach Gebrauch aus dem Verkehr gezogen und von einer Wiederverwendung ausgeschlossen? Da käme im Laufe von ein paar Jahrtausenden Menschheitsgeschichte eine ganz hübsche Ansammlung von Massenmördern, Diktatoren und anderen Arschlöchern zusammen. Wer wäre für die Aktualisierung dieser Ausschlussliste zuständig? Kann man sie mal einsehen?

Wenn jedoch keine Seelen-Zensur durch eine himmlische Logistik-Behörde stattfindet, also alle wahllos reinkarnieren dürfen, könnte man dann wenigstens feststellen, wer die früheren „Stadien“ von Hitler oder Stalin waren? Und gibt es Anhaltspunkte wo und wann die womöglich wieder auftauchen werden? Dann sollte man die eigene Reinkarnation vielleicht besser um ein Jahrhundert verschieben!

Wo waren all die Wesenheiten eigentlich, bevor es Menschen gab? Sind wir womöglich in dieser Hinsicht die wahren Erben der Dinosaurier? Ist die moralische Weiterentwicklung der menschlichen Rasse vielleicht deshalb so defizitär, weil wir als Reinkarnation ständig die Fehler unserer Vorgänger wiederholen müssen?

Selbst diese nur kursorische Auflistung ungelöster Probleme macht es doch gar nicht so unerfreulich, einfach nur ein einmaliger Mensch zu sein. Einfach nur „Ich“, ohne die Hypothek eines endlosen Erbes früherer Leben und die vielleicht unerfreuliche Aussicht, in immer währender Wiederholung derselben dummen Fehler auf den Untergang des Universums warten zu müssen.

Mit dem herzlichen Wunsch, niemand möge in der nun beginnenden Woche endlose Fehler wiederholen, wünscht einen schönen Sonntag
Ihr / Euer Michael Bross aus Sindlingen

 

 

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