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Schändlich und Schäbig

In Japan kämpfen die Menschen 10 Tage nach dem gewaltigen Erdbeben und dem Tsunami immer noch ums pure Überleben. Kälte, Schnee und ein völlig zerstörte Infrastruktur behindern die Versorgung und Rettung der obdachlosen Überlebenden. Hier in Deutschland wird das Elend dieses asiatischen Volkes zum Anlass genommen, eine ausgesprochen schäbige und schändliche Atom-Diskussion zu führen. Ein Experte hat darauf hingewiesen, dass in Japan die Erde schlimmer bebte als in Haiti, die Flutwelle das Ausmaß derjenigen in Indonesien erreichte und zeitweilig ein Super-GAU wie in Tschernobyl drohte. Die Menschen im Land der aufgehenden Sonne ertragen ihr Schicksal mit stoischer Ruhe.

Wir hier – auf der anderen Seite des Globus – reagieren geradezu hysterisch, und einige grüne Giftschleudern nutzen die Panik, um sich selbst in den rechten Strahlenglanz zu setzen. Da wurden flink auch wieder all die Argumente von terroristischen Flugzeugbomben auf Biblis ausgegraben. Ich warte nur noch darauf, dass ein esoterischer Apokalyptiker verkünden wird, der Tsunami, der Japans Ostküste traf, wäre durch das Atomkraftwerk Fukushima verursacht worden, weil dessen Strahlung die Erdkruste aufgeweicht hätte, was das Erdbeben auslöste.

Der Unfug, der geschrieben, geredet und gesendet wird, bleibt aber nicht auf die Anti-Atomkraft-Bewegung beschränkt. Der Umwelt-Minister Norbert Röttgen sagte laut Zeitungsbericht: Das Restrisiko sei in Japan „von einer statistischen Minimalgröße zu schrecklicher Wirklichkeit" geworden. Und die Bundeskanzlerin schwadronierte, in Japan sei das „Unmögliche möglich" geworden. Der Minister hat offenbar keine Ahnung von Statistik: die Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses verändert sich nicht, wenn das Ereignis eintritt. Seine Chefin braucht anscheinend eine unwiderlegbare Begründung, warum sie bei der deutschen Atompolitik nun ungestraft umfallen muss. Trotzdem gilt: Das Unmögliche ist auch in Japan nicht möglich geworden, nur das Undenkbare – im Sinne einer durch Denkverbote verdrängten Möglichkeit eines Risikos, mit dem keiner rechnen wollte – hat sich ereignet.

Wenn wir jetzt in Deutschland die Kernkraftwerke abschalten, lösen wir damit nicht die Probleme der Welt. Auch nach der Stilllegung aller AKW dürsten wir nach Energie, nach billiger Energie zumal, denn davon hängt unser Wohlstand und vielleicht sogar die Aufrechterhaltung unserer Zivilisation ab. Aufgabe jeder Regierung ist es, den Lebensstandard der Wähler zu sichern und wenn irgend möglich zu heben. Davon hängt in einem säkularen Staat das Überleben des gewählten Führungspersonals ab. Kaum vorstellbar, dass die Bürger jemanden mit Amt und Würde belohnen, der ihnen ein Leben in dunkler, kalter Stube in Aussicht stellt. Und wir sollten uns im Klaren darüber sein, wer zuerst in die Röhre guckt, wenn Energie richtig teuer wird: Die weniger Betuchten im Lande! Billige Energie hat nämlich auch eine soziale Komponente.

In der japanischen Atomkrise gewinnen hierzulande die Grünen politisch an Zustimmung. Logisch, denn Untergangspropheten gehören stets zu den Krisen-Gewinnlern und erleben Zulauf in Zeiten der Bedrohung. Nie waren Tempel und Kirchen so voll inbrünstig Gläubiger wie in jenen Zeitaltern, wenn feurige Kometenschweife am Nachthimmel Unheil verkündeten. Im Mittelalter haben sich die Leute zu Massen in den Staub geworfen, sich selbst gequält und verstümmelt. Mittlerweile reagieren wir in Deutschland fast genauso auf das Erscheinen von Unglücksboten in ihrer modernen Form der „Breaking News"-Banner am unteren Bildschirmrand. Wir peitschen uns zwar nicht die Haut von den Rippen, aber die intellektuelle Selbstgeißelung wegen einer Naturkatastrophe nimmt quasi-religiöse Formen an: von der eiligen Bußfertigkeit der Regierenden bis zu den Verzichtserklärungen der Bürger. Was wird das alles noch wert sein, wenn der erste Schock vergessen ist? Ein bisschen mehr Vernunft und nicht Blubbern aus dem Bauch heraus wäre nicht ganz verkehrt.

Die Naturkatastrophe in Japan hat uns gezeigt, dass wir die Erde nicht beherrschen können, dass wir sie nicht untertan zu machen verstehen. Der Hybris der All-Machbarkeit in Form von immer neuen, immer ausgefeilteren Sicherheitstechniken folgt nun die Gegenthese, dass die Menschen jedes Risiko vermeiden könnten, wenn sie sich nur klein genug machen und asketisch-bescheiden ihr Dasein im Einklang mit der Natur fristen. Keine Technik = kein Risiko, so die technophobe Gleichung. Sie wird auch nicht aufgehen. Erdbeben wird es geben bis der Erdkern komplett abgekühlt ist, was so etwa 4,5 Milliarden Jahren dauern kann. Und der Beweis, dass an Technik arme Gesellschaften mit Naturkatastrophen besser fertig werden als hochtechnisierte, wäre noch zu erbringen. Zeit genug für solche Betrachtungen bleibt ja noch.

Eine schöne, hoffentlich krisenfreie Woche wünscht
Michael Bross aus Sindlingen

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