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Dorfklatsch

Die Welt wird zum Dorf. Aber das gilt in ganz anderer Weise, als die Globalisierung uns das verheißen hat. Klar, wir essen Bananen aus Mittelamerika, und unsere amerikanischen Turnschuhe werden in China zusammen geschustert. Aber solche Fernbeziehungen hatte die Menschheit eigentlich schon immer. Früher waren es Seide und Gewürze, die über riesige Entfernungen zur Belustigung der Reichen und Mächtigen heran gekarrt werden mussten. Heute dürfen - wir sind ja alle gleich - auch die Proletarier der ersten die dritte Welt ausplündern. Aber was den Globus wirklich zum Dorf werden lässt, ist nicht die Demokratisierung des Konsums, sondern der Klatsch.

Die Welt rückt kommunikativ immer enger zusammen. Der chinesische Bauer, der afrikanische Viehhirte, Freud und Leid der ganzen Welt sind mittels neuer Technologien stets und überall für jeden von uns verfügbar. Die Menschen vermögen quasi in Echtzeit mit der ganzen Welt zu kommunizieren. Da könnte eine Weltgesellschaft - von der viele Utopisten schon lange träumen - aufgebaut werden. Aber das, was sich im Internet, in all den Chatrooms, E-Mails, auf Websites und auf den Video-Plattformen wirklich abspielt, ist inhaltlich weder global interessant noch allumfassend bedeutsam, sondern bestenfalls trivial, also eher dörflich.

Moderne Techniken erlauben es seit ein paar Jahren jedem Privatmann mit Lichtgeschwindigkeit und über viele Kilometer hinweg das zu tun, was die Urform von Kommunikation war: Dorfklatsch verbreiten. In der früheren Kleinstgemeinde wusste jeder fast alles über fast jeden. Im Internet ist das fast genauso. Da werden Gerüchte und Ratschläge ausgetauscht. Was nichts wirklich Neues ist: Wer früher sein altes Auto aufpeppen lassen wollte, fragte den Nachbarn drei Häuser weiter nach der besten Werkstatt. Wer heute ein Computer-Problem hat, findet seinen Ratgeber drei Klicks weiter im www. Oder er fragt Google. Und das klappt sogar. Per Internet wird mancher Menschen soziales Netz gepflegt, das jetzt halt nicht mehr räumlich in der Nachbarschaft angesiedelt ist; vielmehr sind seine Mitglieder über die ganze Hyper-Community verstreut. Nahe sind jetzt nicht mehr die, die nebenan wohnen, sondern die, die gleiche Interessen teilen.

Peinlich sind die neuen technischen Möglichkeiten vor allem für die etablierten Medien. Journalisten und andere Medienschaffende verlieren die alleinige Hoheit über die Definition von Aktualität. Früher galt mal, dass nicht stattgefunden hat, was nicht in der Zeitung steht. In Zeiten von Foto-Handys und SMS wirkt dieser Anspruch lächerlich. Noch jede Naturkatastrophe im Urlaubsparadies wurde von Touristen schneller in Szene gesetzt als von den Kamerateams der Fernsehsender.

Besonders erniedrigend ist die Wiederkehr des Dorfklatsches für Paparazzi und Skandalschreiber. Diese Zunft hatte sich ja darauf verlegt, ihre Interpretation von Tratsch in die bunten Blätter zu hieven. Aber nun zeigt sich: Eigentlich können die Menschen draußen das viel besser. Gerede über andere Leute ist hurtig, einseitig, subjektiv, emotional teilhabend bis ausbeutend, gemein oder tröstlich, wahllos ... Journalismus dagegen soll doch fundiert sein, vielseitig und nachprüfbar, distanziert und gut informiert - eben bedeutend!

Und genau daran muss wieder gearbeitet werden: Medien müssen sich ihre Relevanz zurück erobern. Informationsvermittlung und Interpretation bzw. eine strukturierte Aufklärung sollten bald das nicht mehr existente Monopol der Verbreitung von Banalitäten ersetzen. Jeder kann heute beliebig unwichtige Nichtigkeiten in die Welt hinausposaunen, dafür braucht es keine Zeitung, kein Fernsehen und kein Radio mehr. Solcher Dorfklatsch gehört aber nicht in die Nachrichten. Und das wäre doch auch kein so großer Verlust, oder?

Einen schönen Sonntag wünscht Ihnen/Euch
Michael Bross aus Sindlingen

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