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Laterne, Laterne

Liebe Freunde und Bekannte,

manchmal gibt es kleine Geschichten, wie sie das Leben so schreibt. Hier eine davon. Möge ein jeder sich seinen Reim darauf machen – oder auch nicht.

Es war einmal ein kleines Haus mit einer Straßenlaterne davor. Die Lampe beleuchtete eine gar schmale Gasse, einen noch schmäleren Fußweg und eine kleine Stichstraße zu den Anwesen von einigen Hintersassen. Und außerdem verströmte sie gar taghelles Licht in den winzigen Hof des kleines Hauses. Dies missfiel freilich den Bewohnern und so erhoben sie gar laute Klage und beschwerten sich bei den Herren und Meistern der Lampen und Leuchten in ihrer Stadt. Eine Abordnung von Dienstleuten erschien all so zu nächtlicher Stund und begutachtete die Beleuchtung. Und da es gar zu grell erschien, ward fürderhin Schlag 10 Uhr in der Nacht die eine jener zwei glimmenden Röhren ausgeschaltet. Da waren alle zufrieden.

Einige Monde später jedoch beschlossen in ihrer Weisheit die Herren der Lampen und Leuchten, dass all die Laternen einer Revision und Erneuerung zu unterziehen seien, um bessere Lichte, die weniger Elektronen im Kreis laufen lassen und so auch weniger Zee-Oh-Zwei verursachen, zu errichten. Als die Bewohner des kleinen Hauses eines Abends nach Hause kamen, erstrahlte ihre ganze Straße in einem üppigen Gelb-Orange. Verwirrte Menschen suchten ihre Häuser, denn was vordem in blassem Weiß sich darbot, erschien in Gelb. Und gelbe Häuser zeigten nun die anmutige Farbe von bräunlich Erbrochenem. Die Bewohner des kleinen Hauses vermochten des Nachts in ihrem Hof ein Buch zu lesen, denn die neuen Laternen waren freilich auch dazu angetan, jede Tätigkeit im Freien aufs gar Grellste zu erhellen – auf dass kein Tun geheimniskrämerisch verborgen bleiben möge. Mit 50 Watt statt zwei mal 18 trugen sie zudem erheblich zur Ersparnis der höllischen Zee-Oh-Dämpfe bei!

Und wieder erhob sich lautes Gezeter unter den Anwohnern. Auch die Hintersassen in der Stichstraße fühlten sich in ihrer Nachtruhe gestört, denn eine zweite Laterne vor ihren Häusern verbreitete gleißend gelben Schein in den Schlafkammern. Die Menschen eilten zu den Fernsprechern und überzogen die Diener der Lampen-Meister mit Beschwerde und Drohung.

Gar lange passierte freilich nichts. Doch dann erschienen drei Dienstleute mit einem Leiterwagen und sägten flugs die Lampe bei den Hintersassen ab. In der Stichstraße ward es somit gar düster und finster. Die Bewohner fanden ihre Hoftore nicht mehr. Jedoch war nun eine Laterne übrig. Die Männer mit dem Leiterwagen montierten das überzählige Stück zu der anderen Laterne, die am Eingang der Stichstraße stand. Die Bewohner des kleinen Hauses hatten nun zwei Laternen, um den Hof die gesamte Nacht über zu erleuchten. Zweifel und Verzweiflung machten sich breit. War hier ein Exempel statuiert worden? Getreu dem Motto: Wer sich beschwert, wird so lange mit dem Gegenteil dessen, was er will, beglückt, bis er endlich aufhört, aufsässig zu sein und demütig das annimmt, was ihm von höherer Stelle in vollendeter Weisheit zugedacht wird?

Verzagtheit und Kleinmut machten sich breit, trotzdem wurde ein letzter Versuch unternommen, die Herzen der Herren der Lampen und Leuchten zu erweichen. Und das verzweifelt vorgetragene Flehen nach nächtlicher Dunkelheit durchbrach auch den Panzer der Gefühllosigkeit: Eine gerührte Vorzimmerdame stieß das Tor auf zu einem der Großen und Mächtigen. Und siehe – es war Wunschkonzert. In Windeseile kamen die Dienstleute mit ihrem Leiterwagen und sägten und schraubten und auf wundersame Weise wurde es fast ganz dunkel im kleinen Hof vor dem kleinen Haus.

Und so leben die Bewohner jetzt schon seit ein paar Wochen glücklich und zufrieden ...

Einen schönen Sonntag wünscht Ihnen / Euch
Michael Bross aus Sindlingen

 

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