Skip to main content

Gestern am Wahlkampfstand

In Hessen ist bekanntlich Kommunalwahlkampf, und deshalb stehen auf Plätzen und Straßen wieder bunte Zeltpavillons, verwickeln einem wildfremde Menschen in Gespräche über die örtliche Politik oder verteilen Parteibroschüren und nette kleine Aufmerksamkeiten (aber keine Wahlgeschenke). Wahlkampfstände belegen jedoch nicht nur die Gesinnung der dort tätigen Politiker, sie geben auch einen tiefen Einblick in Volkes Seele und wie die so tickt. Deshalb hier zwei Anekdoten:

Gestern am Wahlkampfstand

Ein Mann – schlampig gekleidet, leicht übergewichtig und überhaupt von wenig sympathischer Gesamterscheinung – steuert auf den Wahlstand zu und will den Kandidaten sprechen. „Sie sind doch türkischer Nationalität," eröffnet er das Gespräch. „Nein, ich bin deutscher Staatsbürger," entgegnet darauf freundlich unser Lokalpolitiker. Der in seiner Meinung offenbar sehr gefestigte Bürger wedelt nun ungeduldig mit dem Programmheft der Partei, deutet auf die Seite des Kandidaten und liest den – zugegeben nicht so ganz geläufigen – Namen vor. „Dann sind Sie halt Deutscher türkischer Nationalität," ringt der Mann sich ab. „Nein, nein, ich bin deutscher Bürger," sagt darauf ganz geduldig der Kandidat. Vor ihm stehen nun knapp 100 Kilo totale Verwirrung. „Ja, aber ... dann waren Ihre Eltern ...?" „Meine Eltern kamen aus der Türkei," wird nun offenbar. Endlich hat der Neugierige das ersehnte Geständnis und kann beginnen, den Kandidaten mit seinen Ansichten zur Integration zu belabern.

Dass sich Politiker im Wahlkampf allerlei „geistigen Dünnpfiff" (Zitat einer ungenannten Dame) anhören müssen, gehört zu ihrem Bewerbungsverfahren fürs Parlament. (Assessment-Center sind auch immer nur so intelligent wie die Auswählenden, haben aber häufig nichts mit den geistigen Fähigkeiten der Bewerber zu tun.) Was hier am Wahlkampfstand deutlich wird, ist eine völlig verquere Vorstellung von Integration: Wenn jemand, der für eine deutsche Partei kandidiert und deshalb ganz gewiss alle Bürgerrechte hat, in des einfachen Volkes ge-Bild-eter Wahrnehmung immer noch als „Ausländer" gilt, brauchen wir uns nicht zu wundern, dass viele Neubürger hier nicht angekommen sind und vielleicht auch nicht ankommen wollen.

Einen Michael Chang würde kein Amerikaner fragen, ob er Chinese ist. Dass seine Vorfahren nicht aus Schweden stammen, ist offensichtlich; auf seine Fähigkeiten als Tennisspieler hatte es aber keinen Einfluss. Vielleicht würde es ja helfen, wenn auch die Einwanderer hierzulande ihren Söhnen gute deutsche Namen geben: Karl, Friedrich oder Wilhelm verweisen dabei auf imperiale Größe, Konrad oder Ludwig sind gut republikanisch. „Migrantische" Mütter – denkt mal drüber nach! Bei Mädchen ist es übrigens einfacher, deren Vornamen sollten einfach nur hübsch klingen.

Kaum hatte sich der deutsche Integrationsverweigerer getrollt, nahte ein anderes Subjekt. Zu den – was Erziehung und Anstand angeht – eher Minderbemittelten gehörend, bediente sich der Mann eifrig bei den sogenannten Give aways. Die heißen übrigens so, weil sie weggegeben und nicht in Selbstbedienung in beliebiger Menge abgegriffen werden sollen. Als der Typ nun die zweite Blume unter dem Tresen herausfischte, wurde er von einem Helfer zurechtgewiesen und beiseite geschoben. Daraufhin schrie er los: „Fass mich nicht an! Du darfst mich nicht anfassen!" „Und Sie dürfen hier nicht einfach Blumen wegnehmen. Das sind nicht Ihre!" wurde ihm beschieden. Dieses Wortgefecht endete dann ganz schnell, war allerdings nicht das wahrhaft Lehrreiche der Szene. Bezeichnender ist, für wen einzelne Umstehende lautstark das Wort ergriffen. Man ahnt es: Für den Dieb! Da man dessen Tat ja nicht bemerkt hatte, wurde der Wahlhelfer „angemacht", der einen armen Mitbürger „belästigt" habe. Mal zu fragen, was dem Zank voran gegangen war, kam keinem der Umstehenden in den Sinn.

Was lernen wir aus diesen beiden an sich eher unbedeutenden Ereignissen? Erstens: Ausländer bleibt hierzulande immer Ausländer, egal ob er einen deutschen Pass hat! Zweitens: Wenn der Dieb schreit, er werde bedroht, nicht mehr klauen zu dürfen, solidarisieren sich etliche Gutmenschen mit dem solcher Art Verfolgten!

Über diese verkehrte Welt sollten wir an einem trüben Sonntag vielleicht mal nachdenken.

Das regt an Euer / Ihr
Michael Bross aus Sindlingen

 

  • Erstellt am .