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Erinnerungskultur mit Stolpersteinen

In einer Zeitung war ein Beitrag zu lesen, dass der grüne Bürgermeister meines früheren Heimatorts jetzt im alten Ortskern sogenannte Stolpersteine verlegen lässt. Das ist eine schöne Geste der Erinnerung an das Unrecht der Vergangenheit. Aber - habe ich mich gefragt - hilft das bei der Bewältigung unserer Probleme, die uns heute herausfordern? Müssten wir nicht heute handeln, damit man nicht in der Zukunft über uns sagt, wir hätten durch Ignoranz Unrecht geschehen lassen? Wollen wir aus der Geschichte lernen? Dann darf die Lektion aber nicht heißen, dass wir eine Generation später Erinnerungsarbeit leisten müssen.

Auch in der hessischen Provinz, in Kleinstädten und ländlichen Gemeinden kommen jetzt sogenannte Stolpersteine der Geschichte in Mode. Bürgermeister, Vereine wohlgesonnener Bürger und örtliche Künstler gefallen sich darin, vermittels im Boden verlegter kleiner Gedenksteine an die schreckliche Vergangenheit zu erinnern. In jeder Ortschaft lässt sich irgendein Gebäude finden, aus dem die Nationalsozialisten und ihre dumpfen Schlägerbanden während der finsteren Herrschaft des Unrechts Juden oder andere den braunen Banden nicht genehme Mitmenschen vertrieben haben. Deren Schicksal lässt sich heute noch medienwirksam betrauern. Solche Erinnerungsarbeit kommt gut an.

Und – den Verdacht habe ich jedenfalls manchmal – sie lenkt von den realen Problemen ab, die wir heute haben. Derer zu gedenken, für die unsere Vorväter einst keine Hand rührten und dadurch der Verdammnis überließen, ist viel einfacher und weniger gefährlich, als sich um diejenigen zu kümmern, denen heute keine Hand gereicht wird, die heute dem Verderben ausgeliefert sind. Ein Neubaugebiet für die Lebenden, die vor Mord und Totschlag flüchten konnten, statt Erinnerungssteine für die Ermordeten – das wäre wohl zu viel verlangt?

Wer den Toten Gedenksteine errichtet und dabei die Lebenden, die jetzt in Gefahr schweben, übersieht, versündigt sich ebenfalls vor der Geschichte. Werden unsere Enkel-Kinder in 75 Jahren Gedenksteine auf Lampedusa oder an anderen Küstenorten rund ums Mittelmeer aufrichten für all die Ertrunkenen, die zu uns fliehen wollten und nicht ankommen durften?

In Deutschland tragen wir schwer an der Bürde der Erinnerung unserer Vergangenheit. Wir sollten uns aber von diesem Mühlstein um unseren Hals nicht davon abhalten lassen, in der Gegenwart anzukommen und die Probleme zu lösen, die wir heute lösen können, statt um die Probleme zu trauern, die in der Vergangenheit nicht gelöst wurden.

 

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