Skip to main content

Beschneidung oder Religionsfreiheit

Die Beschneidung von Knaben ist Körperverletzung. So hat es zumindest das Landgericht Köln entschieden. Juden und Muslime, bei denen religiöse Vorschriften oder Traditionen eine Beschneidung – teils schon von Säuglingen – fordern, haben zutiefst erregt reagiert. Die entsprechenden Verbände, aber auch die Evangelische Kirche in Deutschland haben sofort kritisiert, das Gericht habe es versäumt, die Religionsfreiheit und das Erziehungsrecht der Eltern angemessen gegen das Recht auf körperliche Unversehrtheit abzuwägen. In den letzten Tagen haben sich dann noch zahlreiche Juristen, Wissenschaftler, Theologen und Ethiker zu Wort gemeldet.

Das Schlimme an der ganzen Diskussion ist aus meiner Sicht: Die Erregung richtet sich neben dem rein körperlichen Aspekt einer abgetrennten Vorhaut in erster Linie auf die beschnittenen Rechte der Eltern und die vermeintliche Beschränkung der Religionsfreiheit. Und geht damit am Kern des gesamten Problems im Grunde genommen völlig vorbei!

Die Beschneidung von Knaben ist Körperverletzung. So hat es zumindest das Landgericht Köln entschieden. Juden und Muslime, bei denen religiöse Vorschriften oder Traditionen eine Beschneidung – teils schon von Säuglingen – fordern, haben zutiefst erregt reagiert. Die entsprechenden Verbände, aber auch die Evangelische Kirche in Deutschland haben sofort kritisiert, das Gericht habe es versäumt, die Religionsfreiheit und das Erziehungsrecht der Eltern angemessen gegen das Recht auf körperliche Unversehrtheit abzuwägen. In den letzten Tagen haben sich dann noch zahlreiche Juristen, Wissenschaftler, Theologen und Ethiker zu Wort gemeldet.

Das Schlimme an der ganzen Diskussion ist aus meiner Sicht: Die Erregung richtet sich neben dem rein körperlichen Aspekt einer abgetrennten Vorhaut in erster Linie auf die beschnittenen Rechte der Eltern und die vermeintliche Beschränkung der Religionsfreiheit. Und geht damit am Kern des gesamten Problems im Grunde genommen völlig vorbei!

Die Religionsfreiheit wird durch das Urteil nicht beschränkt: Jeder Gläubige kann nach wie vor glauben, was er will, und seine religiösen Praktiken ausüben. Niemand wird an Gebet oder Gesang oder Prozession gehindert! Keinesfalls wird es Religionsgemeinschaften unmöglich gemacht, willen- und wehrlose Kinder durch die Eltern als Rekruten für das Gläubigenheer anzuheuern. Und nach wie vor dürfen Eltern ihren Kindern eine lebenslange Verpflichtung aufbürden, indem sie die eigenen theologisch-moralischen Vorstellungen in ihren Nachkommen klonen.

In einem ganz strengen liberal-säkularen Sinne wird in der gesamten Diskussion der Gedanke der Religionsfreiheit nicht konsequent zu Ende gedacht: Religionsfreiheit nehme ich für mich in Anspruch. Ich kann glauben, was ich möchte. Kein Staat und kein anderer Mensch darf mich zwingen, an den Gott zu glauben, den er verehrt. Freiheiten, insbesondere ideologische Freiheiten wie die Religions- oder Meinungsfreiheit, kann ich immer nur für mich selbst reklamieren und auf mich selbst anwenden. Ich habe das Recht zu glauben, was ich will und meinen Glauben zu leben. Ich hätte aber auch das Recht, nichts zu glauben und keiner Religionsgemeinschaft anzugehören. Wenn ich im Namen meiner Religionsfreiheit einen anderen allerdings zu etwas zwinge, so ist dies fremdbestimmt, und Fremdbestimmung ist das Gegenteil von Freiheit. Im Namen der Religionsfreiheit kann ich in einem humanen Rechtsstaat nur über mich, mein Gewissen, meinen Glauben und meinen Körper bestimmen.

Warum – so muss man an dieser Stelle fragen – dürfen dann Eltern für ihre Kinder beschließen, welcher Religionsgemeinschaft sie angehören müssen? Schließlich ist diese Entscheidung – zumindest nach den Glaubenssätzen der großen monotheistischen Weltreligionen – unumkehrbar: Der Beitritt zu einer Glaubensgemeinschaft hat Ewigkeitscharakter. Der Initiationsritus ist – selbst wenn er keine körperlichen Male hinterlässt – nicht ungeschehen zu machen. Die meisten anderen Entscheidungen, die Eltern für ihre Kinder treffen, lassen sich “rückstandfrei” ins Gegenteil umkehren – die Aufnahme in eine Religionsgemeinschaft nicht. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass der religionsmündige Bürger in vielen Rechtsstaaten seinen Austritt aus der jeweiligen verfassten Amtskirche erklären kann. Der theologische Gehalt des Aufnahmeaktes wird dadurch nicht ungeschehen gemacht. Streng genommen dürften Eltern deshalb nicht über die Aufnahme ihrer Kinder in eine Religionsgemeinschaft bestimmen. Damit determinieren sie deren restliches Leben und darüber hinaus: Religionsfreiheit ist – provokant libertär formuliert – nichts anderes als Meinungsfreiheit in Sachen Leben nach dem Tode.

Im Namen der Religionsfreiheit einem anderen etwas aufzwingen zu wollen, ist nicht Freiheit. Auch dann nicht, wenn ich zutiefst davon überzeugt bin, im Besitz der alleinigen Wahrheit zu sein, und für den anderen das Beste will. Mit genau dieser Argumentationskette, andere zu ihrem Glück zwingen zu müssen, wurden in Europa Scheiterhaufen errichtet. Eltern müssten somit – wenn sie wirklich das Beste für ihre Kinder wollen – durch ihr moralisch einwandfreies Leben nach den Regeln der von ihnen geglaubten Religion ein so überzeugendes Beispiel abgeben, dass die erwachsenen Kinder in vollem Bewusstsein dessen, was sie da tun, sich aus ganzem Herzen für diese Religion ihrer Eltern entscheiden! Das wäre wahre Religionsfreiheit. Und nach meiner Überzeugung das, was sich ein gütiger Gott von seinen Gläubigen wünschen würde.

Einen nachdenklichen Sonntag wünscht Ihnen / Euch
Michael Bross aus Sindlingen

  • Erstellt am .