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Es gibt kein geistiges Eigentum

Geistiges Eigentum, im Sinne der Verwendungsbeschränkung und der Monopolisierung kann es nicht geben, denn dies macht gesellschaftlich keinen Sinn. Der gesellschaftliche Fortschritt, das Entstehen einer zivilisierten Gesellschaft beruht geradezu auf dem Austausch von Informationen über Kultur, Wissenschaft und Technik. Die Evolution der Gesellschaft hängt von der Weitergabe von Informationen ab. Davon strikt zu trennen ist die intellektuelle Redlichkeit, den Urheber einer neuen Information zu nennen. Und die dritte Dimension ist, dass „Geistesarbeiter“ nicht schlechter gestellt werden dürfen als die Werktätigen, die physisch tätig sind. Auch im Internetzeitalter der billigen digitalen Kopie muss gelten: Wer mit seiner Tätigkeit einen Beitrag zum Nutzen anderer Menschen leistet, sollte von seiner Arbeit auch leben können.

Es gibt kein geistiges Eigentum.

Sobald ich eine Information ausspreche, sobald ich eine Idee mit anderen teile – ich verliere dadurch das Eigentum an meiner Idee. Eigentum an etwas Geistigem kann ich nur haben, indem ich meine Idee für mich behalte. Die deutsche Sprache ist hier sehr deutlich: für sich behalten. Das wesentliche Kennzeichen von Eigentum ist, dass der Eigentümer alle anderen Menschen von der Nutzung einer Sache ausschließen kann. Bei geistigen Gütern ist genau das regelmäßig nicht der Fall. Eigentum meint Kontrolle. Und genau diese Kontrolle verliere ich, wenn ich eine Idee öffentlich mache oder eine Information ausplaudere.

Der zivilisatorische Fortschritt der Gesellschaft durch die Jahrhunderte und Jahrtausende beruht geradezu auf dieser Eigenschaft des Nicht-Eigentums an geistigen, immateriellen Gütern. Wenn die grundlegenden Kulturtechniken (angefangen vom Feuermachen) nicht von einer Generation zur nächsten weitergegeben würden und jedermann zur Verfügung stünden, der sie erlernt, wäre die menschliche Rasse wahrscheinlich heute noch in düsteren Höhlen gefangen. Am Beispiel von Werkzeugen wird dies besonders deutlich: Nicht die Weitergabe einer Axt als Erbstück hat die Menschheit weitergebracht, sondern die Duplizierung des Wissens, wie man eine Axt herstellen und was man mit ihr anfangen kann.

Etwas anderes ist es, den Urheber einer neuen Information zu nennen. In manchen Fällen ist das selbst nach sehr langer Zeit noch der Fall: der Satz des Pythagoras oder Einsteins berühmte Gleichung e=mc² sind Beispiele für mathematische Formeln (also verdichtete Informationen), die noch heute untrennbar mit ihren Urhebern verbunden sind. Jahrhundertelang galt als mit hoher Bildung gesegnet, wer in jeder noch so alltäglichen Situation geistreich ein Zitat eines alten Meisters – Goethe, Schiller oder die noch älteren Autoren Cicero und Seneca waren hier immer gut geeignet – vorzutragen wusste. Natürlich stets mit Quellenangabe. Und auch heute muss gelten: Wer etwas vorträgt oder in eine Veröffentlichung einbaut, das ein anderer entwickelt oder zuerst ausgesprochen und publiziert hat, muss dies angeben. Das ist schlichtweg eine Frage der Redlichkeit. Nicht an ihrer mangelnden Brillanz, sondern an ihrer Unredlichkeit sind die Dissertations-Betrüger gescheitert.

Und ein dritter Aspekt kommt zum Ausdruck in der Forderung von Autoren, Künstlern oder Wissenschaftlern, von ihrer Tätigkeit leben zu können. Früher wurde der Sänger oder Geschichtenerzähler für seine Darbietung entlohnt. Die Gesänge, die vorgetragen, oder die Geschichten, die zum Besten gegeben wurden, waren dem Publikum meistens vertraut. Honoriert wurde nicht der Neuigkeitswert, sondern das, was man neudeutsch Performance nennen würde. Zugegeben: Das ist heute komplizierter geworden. Früher kam der wandernde Sänger ins Dorf, hatte sein Instrument dabei und spielte im Gasthaus. Dafür wurden ihm Speis und Trank und eine Übernachtung gewährt. Der Aufwand, der heute betrieben werden muss, ein Musikstück oder eine Erzählung unters Volk zu bringen, ist deutlich höher. Und folglich ist auch die Anzahl der Menschen, die für ihre Bemühungen entlohnt werden möchten, deutlich angewachsen.

Der Fehler, den wir in der Vergangenheit offenbar gemacht haben, ist es, diese drei Dimensionen des geistigen Eigentums, der Nutzung und des Herstellens oder Darbietens von geistigen Inhalten, Informationen, Kunst und Literatur oder Wissenschaft miteinander zu verquicken.

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