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Aufgewärmter Ökologismus

Buchbesprechung
Jared Diamond: Kollaps - Warum Gesellschaften überleben oder untergehen
S. Fischer Verlag, Frankfurt 2005

von Dipl.-Geograph  Michael Bross

Ökologie ist wichtiger als Ökonomie, und auf die Technik ist kein Verlass, sie hat mehr Probleme verursacht, als gelöst. „Kollaps" heißt das neue Opus von der Umwelt-Apokalypse, verfasst vom kalifornischen Geographie-Professor Jared Diamond. Und genauso deprimierend wie der Titel ist auch die Botschaft des 700 Seiten starken Buches. Schon der Klappentext weist die Richtung, wenn da behauptet wird: Der Untergang beginnt immer gleich. Weil die Wikinger auf Grönland und die Mayakultur in Yukatan verschwanden, sollten auch wir kein allzu großes Vertrauen in die Zukunft hegen.

Die Beispielsammlung vergangener Umweltsünden verschiedener Zivilisationen reicht von Polynesien und der Osterinsel über die Mayagesellschaft in Mittelamerika und die Anasazi im Südwesten der USA zu den Wikingern und ihren frühen Kolonien im Nordatlantik, auf Island und Grönland. Ruanda, Haiti und die Dominikanische Republik, China sowie Australien und Montana stehen in der Gegenwart als Zeitzeugen für die bange Frage, warum Gesellschaften überleben oder untergehen. Die Stofffülle ist beeindruckend, Archäologie, Anthropologie, Geschichtswissenschaft, Klimakunde, Ökologie, Geowissenschaften und Biologie werden für ausführliche Beschreibungen der Strukturen der betroffenen Gesellschaften und die Prozesse des Niedergangs (und bisweilen auch des Wiederaufstiegs) herangezogen. Das Handeln der Bergbaugesellschaften im US-Staat Montana kann dabei als besonders abschreckendes Beispiel für einen unverantwortlichen Umgang mit der Natur und den Bewohnern gelten. Zum Thema China wird dagegen wenig Neues geboten. Es ist allgemein bekannt, dass die Chinesen ihre Umwelt massiv ausbeuten, um Wohlstand zu erzeugen und Anschluss an den Westen zu finden. Diamond hat keine Vision, wie dieses riesige Land seinen Bewohnern einen Lebensstandard bieten könnte, der diese Bezeichnung verdient, ohne all die Fehler zu machen, die der Westen in der Industrialisierung machte.

Spannend wird das Buch trotzdem nicht, denn schon in der Einleitung werden die fünf Faktoren definiert, die für den unvermeidlichen Niedergang verantwortlich sind: Umweltschäden, Klimaveränderungen, feindliche Nachbarn oder ausbleibende Unterstützung durch Handelspartner und schließlich „die Reaktion einer Gesellschaft auf ihre Umweltprobleme". Da wird nicht empirisch ermittelt, was im Einzelfall zum Niedergang führte, sondern die Beispiele dienen als Belege für schon vorab definierte Klassen von Einflussgrößen, die eben nicht mehr Gegenstand der Analyse sind. Der fünfte Faktor ist an Trivialität kaum zu überbieten: Die Reaktionen einer Gesellschaft auf alle Herausforderungen - auch solche, die nicht durch Umweltprobleme verursacht sind - haben stets ihr Gedeihen oder ihren Niedergang bestimmt. In fünf Zeilen wird zwar darauf hingewiesen, dass natürlich nicht alle gesellschaftlichen Zusammenbrüche auf Umweltschäden zurückzuführen sind - als Belege werden das antike Karthago und die ehemalige Sowjetunion angeführt -, aber ansonsten bleibt der Autor seiner ökodeterministischen Grundhaltung treu.

Ein drastisches Beispiel soll genügen: Auf der winzigen Insel Tikopia im Südwestpazifik leben etwa 1200 Menschen, was sehr genau der Bevölkerungszahl entspricht, „die traditionell durch Kindestötung, Selbstmord und andere heute nicht mehr hinnehmbare Methoden aufrechterhalten wurde." Daraus wird geschlossen, dass die Voraussetzung für eine nachhaltige Besiedlung „eine stabile, nicht mehr wachsende Bevölkerung" sei. Mit Fug und Recht darf man hier die Frage stellen, ob eine Insel, die nur so wenigen Menschen Überlebensmöglichkeiten bietet, überhaupt für das nachhaltige Bewohnen geeignet ist? Und ob Vegetieren in einer Umgebung, die den Menschen jede Entfaltungschance verwehrt, ein erstrebenswertes (zivilisatorisches) Ziel sein kann? Für die Osterinsel ließe sich in ähnlicher Weise konstatieren, dass sie für eine Gesellschaft mit komplexen religiösen Riten und darauf aufbauenden sozialen Strukturen einfach ungeeignet war.

Entlarvend auch Diamonds Verständnis von Rationalität: Rationales Verhalten ist „gut für mich, schlecht für dich ... - oder kurz gesagt: Es ist egoistisch." Durchgespielt wird das an der „Tragödie der Allmende", die immer wieder als klassisches Beispiel angeführt wird, dass individuelle Rationalität (oder betriebwirtschaftliches Denken) nicht wie von selbst und in jedem Falle die gesamtgesellschaftlich oder volkswirtschaftlich besten Ergebnisse hervorbringt. Der Ausweg aus einer solchen Situation verlangt aber auch - oder sogar gerade besonders intensives - rationales Denken zur Gestaltung des Interessenausgleichs innerhalb einer Gesellschaft. Welche Art von Rationalität ist das?

Auch die Notwendigkeit zwischen der kurz- und langfristigen Perspektive zu entscheiden, wird von Diamond als „irrationaler Konflikt" betrachtet. Ein Fischer, der heute seine Fischgründe überfischt, um zu überleben, wird wohl wenig Verständnis für den professoralen Einwand haben, dass er hier seine Lebensgrundlage von morgen zerstört. Welchen Sinn hat es, für übermorgen zu sparen, wenn ich das Morgen nicht mehr erlebe? Natürlich ist es kurzsichtig, seine Ressourcen zu verzehren, und man sollte daran arbeiten, aus dieser Falle zu entkommen - aber den Luxus, darüber zu spekulieren, wie das zu bewerkstelligen ist, können sich viele Menschen eben nicht leisten. Hier Hilfe zu geben, statt fruchtlose Lehren aus der Vergangenheit ziehen zu wollen, wäre eine ethisch gebotene Aufgabe für Wissenschaftler jeder Couleur. Denn im Nachhinein ist man sowie immer klüger, was natürlich die Perspektive auf historische Gesellschaften, ihre Probleme, die Lösungsversuche und das Scheitern enorm verzerrt, wie auch Diamond einräumt.

Abhilfe durch moderne Technik mag Jared Diamond den Menschen in den nicht industrialisierten Gegenden aber auch nicht versprechen. Die Idee, dass jede Gesellschaft bestimmte Ressourcen heute verwendet, um Lösungen für erkannte (Umwelt-)Probleme zu entwickeln und damit Handlungsoptionen und Chancen eröffnen kann, findet bei ihm nicht statt. Jeder Fortschritt wird ausgeblendet, ein nicht definierter Gleichgewichtszustand ist offenbar sein Ideal. Die Menschheit muss sich an äußere Veränderungen, z.B. des Klimas anpassen, darf aber selbst keine Veränderungen verursachen. Man gewinnt den Eindruck, dass Fortschritt, insbesondere der technische, nicht erstrebenswert ist, denn „ganz gleich, ob mit neuen technischen Verfahren die Probleme gelöst werden, zu deren Lösung sie entwickelt wurden, sie werfen regelmäßig auch neue, unvorhergesehene Komplikationen auf." Selbst der Rettungsbeitrag durch die bei den Umweltschützern so beliebten Hoffnungsträger Wind- und Sonnenenergie wird in „Kollaps" stark relativiert.

Aber natürlich verhält sich der störrische homo sapiens nicht so, wie Professor Diamond das wünscht: Die Einsicht in die notwendige Anpassung an die natürlichen Gegebenheiten - man könnte auch formulieren: die Unterwerfung - wird durch Wertvorstellungen behindert. „Insbesondere religiöse Werte sind oft tief verwurzelt und werden deshalb vielfach zur Ursache katastrophaler Verhaltensweisen," formuliert der Autor. Als Beleg führt er die abendländisch-christliche Lebensweise der Wikinger auf Grönland an, die sich nicht die Überlebenstechniken der Inuit zu Eigen machen wollten, und deshalb nicht überleben konnten, als der Klimawandel in voller Stärke zum Tragen kam. Er macht die zutiefst konservative Haltung der Bevölkerung für ihren Niedergang verantwortlich. Dabei schreibt er selbst, dass gerade die europäischen Wertvorstellungen über Jahrhunderte hinweg das Überleben im unwirtlichen Grönland sicherten. Wenn jede Entscheidung „Elemente des Glücksspiels", also eine Komponente der Unsicherheit beinhaltet, wie kann man dann als einzelner Mensch oder als Gesellschaft wissen, wann der Zeitpunkt gekommen ist, sich von den bisher erfolgreichen Entscheidungsmodellen und Wertvorstellungen zu verabschieden? Auch hier gilt, dass man im Nachhinein sehr viel klüger ist.

Aufschlussreicher als die akademischen Untergangsszenarien sind die kurzen Praxisberichte des Umweltschützers und „Unternehmensberaters" Diamond. Am Beispiel von zwei Ölfeldern auf Neuguinea zeigt er, dass Unternehmen sehr wohl zu einem umweltfreundlichen Verhalten fähig sind, dann nämlich, wenn es sich lohnt. Sobald die Vermeidung von Umweltschäden billiger ist als die nachträgliche Beseitigung, werden Ökologie und Ökonomie plötzlich Verbündete. Das gilt auch für die von Diamond beschriebenen Koalitionen von Verbrauchern und Großkonzernen. Wenn der weltgrößte Bulettenbrater einwandfreies Rindfleisch verlangt, dann werden seine Lieferanten dieser Forderung umgehend nachkommen. „Die Öffentlichkeit muss erkennen, welche Glieder in der Lieferantenkette am ehesten auf den Druck der Allgemeinheit reagieren," rät der Umweltaktivist Diamond und befindet sich damit im Einklang mit der populären Idee, dass über unsere Zukunft nicht mehr durch mündige Bürger im politischen Terrain, sondern durch Verbraucher vor Supermarktregalen entschieden werden kann. 

Alles in allem: Wer eine detailreiche Problemsammlung über untergegangene Gesellschaften sucht, der findet in Jared Diamonds „Kollaps" reichhaltiges Quellenmaterial, umfassend dokumentiert und akribisch aufgelistet. Reichlich Anschauungsunterricht wird geboten über Größenwahn, politische Fehlurteile, Umweltfrevel, religiösen Fanatismus und Borniertheit. Man fragt sich allerdings, warum dazu der Blick auf die Osterinsel oder ins mittelalterliche Grönland nötig ist. Die Gegenwart bietet genug Stoff.  Der Gesamttenor des Buches ist wenig ermutigend, von tiefem Zukunftsskeptizismus geprägt und muss jeden Misanthropen in der Ansicht bestärken, dass der Mensch für die Erde offensichtlich kein Gewinn war.

 

 Dieser Beitrag wurde ursprünglich veröffentlicht in novo Nr. 87 März - April 2007 

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