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Der BRSSMCHL

Unser Staat wird von Nummern regiert - daran haben wir uns gewöhnt: Passnummer, Rentenversicherungsnummer, Steuernummer. Kein Formular, auf dem wir nicht auch eine uns von Amts wegen zugeteilte Ziffernfolge in die dafür vorgesehenen Kästchen malen müssten. Aber damit nicht genug, ...

oder: Wie uns das Finanzamt zweimal beraubt

von Michael Bross

Unser Staat wird von Nummern regiert - daran haben wir uns gewöhnt: Passnummer, Rentenversicherungsnummer, Steuernummer. Kein Formular, auf dem wir nicht auch eine uns von Amts wegen zugeteilte Ziffernfolge in die dafür vorgesehenen Kästchen malen müssten. Ab und zu ist ein Buchstabe dazwischen, meist der Anfangsbuchstabe des Nachnamens. (Bei verheirateten Frauen weist mitunter ein „falscher" Buchstabe auf den Mädchennamen hin und darauf, dass es ein (Berufs-)Leben vor der Ehe gab.)

Das Finanzamt hat diese bürgerliche Übung nun um eine neue, verblüffende Variante bereichert. e-TIN heißt die Innovation, und man findet sie auf der Bescheinigung des Arbeitgebers, die seit kurzem anstelle des bunten Pappkärtchens, genannt Lohnsteuerkarte, das Jahreseinkommen als abhängig Beschäftigter belegt. Wer seine e-TIN das erste Mal in das Steuerformular Anlage N schreibt, wird verblüfft bemerken, dass hier mal viele Buchstaben und nur wenige Zahlen verwendet werden.

Die garstige Hinterhältigkeit der ganzen Operation offenbart sich erst auf den zweiten Blick: Es fehlen alle Vokale! Und damit vernichtet das Finanzamt nicht nur die Schönheit der deutschen Sprache, es beraubt uns auch wesentlicher Ausdrucksformen der verbalen Kommunikation. Wie soll man ohne a, e, i, o und u seinen Emotionen freien Lauf lassen? Finanzbeamte legen naturgemäß wenig Wert darauf, mit den hilflosen Gefühlsausbrüchen der Finanzuntertanen behelligt zu werden. Insofern war es sehr schlau, mit einem rigorosen Zusammenstutzen sprachlicher Ausdrucksformen öffentliche Unmutsäußerungen über Finanzamt und Steuererklärungen unmöglich zu machen. Aber die semantischen Kollateralschäden sind immens.

Mit dem „E" geht der häufigste Buchstabe der deutschen Sprache verloren. Aber das bedeutet auch: Kein Meckern mehr und keine Beschwerde, nur noch MCKRN und BSCHWRD - das ist Neusprech à la George Orwells „1984". Dass das Finanzamt das „I" gestrichen hat, ist ebenfalls nachzuvollziehen. Schließlich ist „I" der konstituierende Buchstabe von „Igitt", dem Ausruf, der sich über die Lippen drängt, wenn man die Anlage N in die Hand nehmen muss. Nur, wie will man ein entschuldigendes „O" von sich geben, wenn man mal wieder dabei ertappt wurde, ein paar Zinseinnahmen in der Anlage KAP vergessen zu haben? Und auch das erlösende, freudige „A" verschwindet, welches das Ende der nervenaufreibenden Suche nach der vermissten Bescheinigung der Krankenkasse verkündet. Und zum guten Ende wird auch der Jubel abgeschafft: Kein „JUHU!" mehr, wenn als Ergebnis des qualvollen Verfahrens dem Bürger eine hübsche Steuergutschrift vom FNNZMT überwiesen werden muss!

Die Bürokratie soll überall sparen - aber mussten es unbedingt die Vokale, diese Stützpfeiler der Sprache, sein, die geopfert wurden, um aus dem Steuerbürger Michael Bross das elektronisch verwaltbare Steuersubjekt BRSSMCHL zu machen?

Aber, habe ich mich gefragt, wer bezahlt eigentlich für eine hypothetische Frau Anne Aue? Schließlich darf sie NN in ihre Steuererklärung schreiben, und das wäre doch eine echte Steuererleichterung.

Dieser Beitrag wurde ursprünglich veröffentlicht in novo Nr. 90 September - Oktober 2007

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