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Neubestimmung des Liberalismus

von Michael Bross, Frankfurt am Main

Für die FDP ist es an der Zeit, neu zu bestimmen, was sie unter liberal zu verstehen gedenkt und wie sie das den Wählern vermitteln will. In einem Umfeld der gesellschaftlichen Verstaatlichung hat mancher Bürger den Eindruck, dass die FDP die letzte politische Partei ist, die dem Individualismus die Treue hält. Wofür dieser Partei dann die Stimmen all jener zufliegen, die sich nicht als Teil einer ameisengleichen Untertanen-Kolonie sehen. Die aktuellen Krisen der letzten beiden Jahre lassen dem verunsicherten Bürger allerdings die rettende Hand von Übervater Staat doch wieder attraktiv erscheinen. In solch einem Umfeld ist es nicht einfach, einen schlanken Staat und individuelle Verantwortung zu propagieren.

Jahrelang hat sich die FDP erfolgreich als die kleine, feine Gouvernante der Konservativen in Wirtschaftspolitik und Bürgerrechtsfragen profiliert. Übertrieben gesagt: Wer eine ordentliche CDU-Politik wollte, musste FDP wählen. Und manchen Wählern war auch der klirrende Traditionalismus einiger Konservativer – man denke an die deutschtümelnden Untertöne in der Diskussion um eine Leitkultur – suspekt und erschien einer liberalen Mäßigung bedürftig.

Man darf jedoch skeptisch sein, ob dieses Politik-Modell zukunftstauglich ist. Zum einen macht man sich durch die Kontrollfunktion eines Wunschpartners von der programmatischen Entwicklung dieser anderen Partei abhängig. Das kann sehr schnell zu inhaltlichen Problemen führen, wenn – was in der Vergangenheit von den Liberalen stets mit einer gewissen Genugtuung beklagt wurde – die Ideen und Forderungen der FDP Eingang in die Programme der sogenannten Volksparteien finden. Zum anderen reduzieren die Liberalen ihre machtpolitischen Optionen, wenn von vorne herein die eigene Programmatik zu stark abgestellt wird auf eine Linderung allzu anti-liberaler Auswüchse in den politischen Forderungen nur einer konkurrierenden Partei.

Die Veränderung der Parteienlandschaft macht es erforderlich, das liberale Gedankengut in seiner vollen Breite (weiter) zu entwickeln und zur Wahl zu stellen. Eine Verengung auf Wirtschafts- und Steuerpolitik, angereichert um ein paar Farbtupfer von Bürgerrechtsrhetorik wird nicht ausreichen, das liberale Potential von Wählern in allen Schichten und Lagern zu aktivieren und dauerhaft zu binden. Auch um die sozial-liberal gesonnenen Menschen hierzulande muss wieder gekämpft werden, um ihnen mit der FDP eine (lange vergessene) Wahlalternative zu geben.

Deshalb muss die FDP deutlich machen, dass die liberalen Kernwerte zur Stärkung der Bürgergesellschaft – also einer Gemeinschaft von selbstbewussten Bürgern! – in jeder Koalitions-Konstellation umsetzbar sind: Bürgerrechte und Meinungsfreiheit, Bildung und Selbstbestimmung, Zuversicht und Fortschritt, Individualismus und Verantwortung, Wachstum und Wohlfahrt.

Kurzum: Liberalismus muss für eine positive Zukunft stehen, nicht aber für steuertechnische Spezialfragen und (vermeintliche oder echte) Klientelpolitik. Die FDP muss die Partei des Fortschritts sein, sich als Vorreiter der Modernisierung Deutschlands profilieren. Freiheitliches Denken ist die Voraussetzung für das Entdecken neuer Wege. Und neue Wege wird die Gesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland beschreiten müssen, wenn sie die gewohnte Lebensqualität und das erreichte Wohlstandsniveau sichern und ausbauen will.

Renaissance eines liberalen Menschenbildes

Das liberale Menschenbild geht davon aus, dass jeder erwachsene, gesunde Mensch für sich selbst sorgen kann. Was eine liberale Gesellschaft – nicht die staatlichen Organe – hierzu beitragen soll, ist Hilfe zur Selbsthilfe, Unterstützung bei der Entwicklung und Weiterentwicklung von Fähigkeiten. Der Staat seinerseits muss die Instrumente zur Ertüchtigung der Individuen bereitstellen, er ist aber nicht für ihre erfolgreiche Nutzung verantwortlich.

Damit kommt der Bildung und Ausbildung entscheidende Bedeutung zu: In der modernen Gesellschaft kann niemand bestehen, der keine ausreichende Schulbildung hat. Schulbildung ist die Voraussetzung dafür, für sich selbst sorgen zu können, statt der staatlichen Fürsorge in Form von Wohlfahrtsprogrammen anheim zu fallen. Die FDP muss sich deshalb dafür einsetzen, dass kein Jugendlicher die Schule ohne Abschluss verlässt. Dies ist als eine Vorleistung der Gesellschaft für ihre jungen Mitglieder zu verstehen, damit die nachwachsende Generation die angemessene Starthilfe für das Leben in einer liberalen Gesellschaft erhält.

Bekenntnis zu Markt und Wettbewerb

Eine liberale Politik muss kompromisslos für den freien und fairen Wettbewerb kämpfen. Wettbewerb – das muss wieder deutlicher als bisher herausgestellt werden – fußt auf verbindlichen Regeln, die von allen Teilnehmern des Wettbewerbs einzuhalten sind. Auch die Ergebnisse des Wettbewerbs sind von allen zu respektieren. Was regelgerecht erworben wurde, darf nicht durch vom Neid gesteuerte vermeintliche Gerechtigkeitsdebatten nachträglich seiner Legalität beraubt werden. Wer unter den geltenden Regeln im Wettbewerb nicht bestehen kann, hat keinen Anspruch darauf, durch Subventionen – egal wie gut gemeint sie sein mögen – zu Lasten anderer im Markt gehalten zu werden: Er muss aus dem Markt ausscheiden. Allerdings – und auch das gehört zu einem fairen Wettbewerb – darf jeder Bürger zu jeder Zeit (wieder) in jeden Markt eintreten. Deshalb sprechen sich Liberale nicht nur gegen Subventionen aus, sondern auch gegen jegliche Monopole und andere Schutzzonen, hinter denen sich Menschen oder Unternehmen vor dem Wettbewerb verbergen können.

Die offene Gesellschaft

Eine liberale Bürgergesellschaft ist eine offene Gesellschaft. Zuwanderung aus verschiedenen Teilen der Welt ist für sie ein normaler Vorgang. Neue Mitglieder der Gesellschaft bedürfen häufig einer besonderen Zuwendung. Die aufnehmende Gesellschaft muss die Neumitglieder möglichst auf den Stand versetzen, der für die hier Geborenen als angemessen angesehen wird. Umgekehrt kann von den Einwanderern erwartet werden, dass sie außergewöhnliche Anstrengungen unternehmen, um nach einer angemessenen Frist aktiv und selbstbestimmt am Wirtschafts- und Gesellschaftsleben in Deutschland teilnehmen zu können.

Liberale begreifen eine „bunte Gesellschaft" als eine Chance, allerdings nicht im Sinne einer Multi-Kulti-Gemeinschaft, die sich aus mehr oder weniger unverbunden nebeneinander her existierenden Parallelgesellschaften formiert. Dazu gehört vor allem, dass alle Einwanderer die Chance erhalten, sich aus eigener Kraft eine Existenz in Deutschland aufzubauen. Qualifizierte Zuwanderer müssen in ihrem erlernten Beruf arbeiten können. Die Globalisierung verlangt geradezu danach, Menschen mit anderem kulturellen Hintergrund und beruflichen Erfahrungen in unserer Gesellschaft zu integrieren, um so Brücken für den Austausch zu schaffen.

Mittelfristig muss es Ziel einer liberalen Partei sein, ein modernes Staatsbürgerrecht zu installieren, mit dem die überkommenen und den modernen Gegebenheiten in einem Einwanderungsland unangemessenen Formen eines ethnisch begründeten Staatsbürgertums überwunden werden.

Freiheit für jede Meinung

Die Meinungsfreiheit gilt grundsätzlich und prinzipiell für jeden Bürger und jede Meinung. Das garantiert, dass jeder vermeintliche Missstand unkontrolliert und damit unzensiert publik gemacht werden kann. Niemand soll in der Lage sein, eine Meinungsäußerung unter Hinweis auf vermeintlich höhere Interessen und Werte, als es Transparenz und öffentliche Kritik darstellen, zu unterdrücken. Das bedeutet auch, dass einzelne Personen dabei – nach allgemeiner Auffassung – unsinnige Meinungsäußerungen veröffentlichen können. Meinungsfreiheit lebt von der streitigen Auseinandersetzung widersprechender Auffassungen. Eine besondere Bedeutung hat die Meinungsfreiheit für Journalisten in der Form der Pressefreiheit. Diese Pfeiler des Liberalismus müssen mit aller Entschiedenheit gestärkt werden.

Der Staat muss Prioritäten setzen

Da jede staatliche Aufgabe dem Einzelnen Mittel für seine persönliche Zielverwirklichung entzieht, müssen solche Leistungen auf das für alle Bürger Notwendige und Wichtige beschränkt bleiben. Für eine freiheitlich gesonnene Partei folgt dies auch daraus, dass der Einzelne in seiner individuellen Würde, mit seinen Wünschen und seinem Streben stets über dem Kollektiv steht. Das staatliche Kollektiv hat nämlich keine Berechtigung an sich. Es dient vielmehr als Instrument zur Erreichung von Zielen, die jeder einzelne zwar hat, aber alleine nicht verwirklichen kann. Insofern ist das Kollektiv ohne die Individuen, die es konstituieren und ihm Nutzen zurechnen, völlig sinnlos. Der Wert des Kollektivs bestimmt sich einzig aus dem Maße seiner Nützlichkeit durch die von ihm erbrachten Leistungen für alle zusammen, aber eben auch für jeden einzelnen Menschen!

Würde dieses Prinzip bei der Prüfung zur Einführungen neuer Staatsaufgaben streng berücksichtigt, wären die Defizite der Öffentlichen Hand deutlich kleiner. Ein konsequent liberaler Staat ist kein Schuldenstaat, denn eine von liberalen Grundsätzen geprägte Haushaltsdisziplin hätte durch den Verzicht auf durch Kredite finanzierte Wahlgeschenke keine Schuldenfalle aufgebaut. Haushaltsdisziplin sollte sich nicht nach Kassenlage, sondern nach den Grundsätzen guter Staatsführung richten.

Veröffentlicht in "liberal - Vierteljahresheft für Politik und Kultur" 1/2011

 

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