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Die ewige Schuldfrage

„Schuld ist eindeutig der Mensch" oder „Schuld an Kriegen sind die Mütter" oder „Westen hat weltweiten Terror provoziert" - drei (fast beliebig gewählte) Schlagzeilen, drei verschiedene Themen, aber ein gleichartiges Argumentationsmuster.

von Michael Bross, Frankfurt am Main

„Schuld ist eindeutig der Mensch" oder „Schuld an Kriegen sind die Mütter" oder „Westen hat weltweiten Terror provoziert" - drei (fast beliebig gewählte) Schlagzeilen, drei verschiedene Themen, aber ein gleichartiges Argumentationsmuster. Neben Klimawandel und Terrorismus ließe sich die Beispielreihe durch Globalisierung, demographischen Wandel, Rente, Gesundheitsreform und anderes mehr nahezu endlos erweitern. Warum werden bei wichtigen Zukunftsfragen immer erst einmal Schuldige gesucht? Selbst dann, wenn es eine individuelle juristische „Schuld" gar nicht geben kann? Warum wühlen wir in der Vergangenheit, statt uns den Herausforderungen von morgen zu stellen?

Betrachten wir den Klimawandel. Die Welt wird wärmer, die Meere steigen an - das scheint nun endgültig klar zu sein. Die einzig relevanten Fragen müssen deshalb lauten: Was können wir tun, um mit den Veränderungen klar zu kommen? Was müssen wir tun, damit es nicht noch schlimmer wird? Das würde nebenbei gesagt auch gelten, wenn der Klimawandel völlig auf natürliche Ursachen zurückginge. Was also kann getan werden, um z. B. der Dritten Welt dabei zu helfen, sich auf den Klimawandel vorzubereiten? Welche Innovationen brauchen wir in Europa, um unseren Lebensstandard auch unter gänzlich veränderten Bedingungen erhalten zu können? Die Bandbreite reicht von Küstenschutz über Wassergewinnung und Bewässerungstechnologien bis zur Erneuerung der Energieversorgung.

Darüber wird eher selten gesprochen und geschrieben; wenn überhaupt sind die Fachleute, die Ingenieure und Techniker auf diesem Feld unter sich. Warum ist es viel beliebter, in einem Akt von Selbstanklage unsere Zivilisation und unseren Lebensstil für alles Böse in der Welt haftbar zu machen und uns zu Reue und Umkehr, zu tätiger Buße durch Verzicht verurteilen zu wollen?

Natürlich gibt es viele gute Gründe unseren Ressourcenverbrauch kritisch zu betrachten. Erdöl wird nicht nur gebraucht, um daraus Benzin für unsere Geländewagen zu destillieren, damit wir in der Innenstadt im Stau stehen können. Es ist auch Ausgangssubstanz für hochwertige Kunststoffe mit innovativem Potential zur Bewältigung von Zukunftsproblemen. Und ein bisschen weniger Abhängigkeit von den ölexportierenden Staaten wäre auch nicht von Nachteil. Von solchen Erwägungen hört und liest man wenig, stets wird so getan, als könnten Kasteiungen der Bürger in den höher entwickelten Industriestaaten den Klimawandel kurzfristig abmildern und umkehren. Das befriedigt nur das ewig schlechte Gewissen, dass es uns im Westen gut geht und allen anderen so viel schlechter und die Armen nun besonders unter unserem übermäßigen Konsum leiden müssen. Ein Ausweg aus der Zukunftsfalle ist das nicht!

Von Politik und Wissenschaft erwartet der Bürger Vorschläge für die Lösung der Probleme, auch Anleitungen, was er konkret tun kann. Politiker werden dafür gewählt, stellvertretend für die Bevölkerung Ziele zu definieren und die anstehenden Aufgaben des Gemeinwesens zu erledigen. Wenn es wärmer wird auf der Erde, hat es keinen Zweck zu lamentieren, was wir früher falsch gemacht haben. Ändern kann man daran sowieso nichts mehr. Man muss die Gegebenheiten akzeptieren und die Kräfte bündeln, um die Gesellschaft fit zu machen für die neuen, veränderten Zeiten und die Wirtschaft umzubauen. Man kann aus der Vergangenheit lernen, wenn man das will. Auch die noch nicht hochindustrialisierten Länder könnten aus den Fehlern des Westens lernen. Dazu wäre es notwendig, dass die dort herrschenden Eliten nicht sofort imperialistische Ressentiments reaktivieren. Ein Blick in die Geschichte des Prozesses der Industrialisierung muss nicht automatisch darin münden, den sich heute industriell entwickelnden Staaten diesen Fortschrittspfad zu verbauen. Es ist aber auch kein Zeichen von hoher Souveränität, darauf zu bestehen, alles genau so machen zu wollen, wie es von anderen vorexerziert wurde.

Wir alle sollten nach vorne blicken und über Zukunftsmodelle für die Welt von morgen nachdenken, statt mit Schuldzuweisungen Vergangenheitsbewältigung zu betreiben. Es mag für die gesellschaftliche Seelenhygiene ja tröstlich sein, wenn man die Verursacher eines Missstandes (am besten in räumlicher oder zeitlicher Ferne) dingfest machen kann. Wenn China und Indien darauf verweisen können, dass die westlichen Industriestaaten den Klimawandel ausgelöst haben, wenn wir heute Lebenden nachweisen können, dass es unsere Väter und Großväter waren, die die Misere lostraten - was nützt es ? Es löst kein Problem und enthebt uns nicht unserer Verantwortung für die Entscheidungen, mit denen wir die Zukunft gestalten.

Copyright Michael Bross 2008 

  • Erstellt am .